Die kritische Dimension der Psychoanalyse erwächst wesentlich aus ihrer Perspektive vom Individuum auf die Gesellschaft und zurück. Die Ableitung von Pathologien aus fast unvermeidlichen Traumata der frühen Kindheit ist der Kernbestand, um den Antisemitismus einer angemessenen Kritik zu unterziehen. Nur so lässt sich sein historisches Alter, seine gleichzeitige Flexibilität und Starrheit erklären – aus seinem Angebot an sehr frühe, quasi überhistorische intrapsychische Konfliktkonstellationen, die in jeweils unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen umgeformt und beeinflusst, aber nicht durch diese erst erzeugt werden müssen.
Für Freud selbst war der Antisemitismus die offene Frage seiner letzten großen Publikation, dem „Mann Moses“. Neben einer radikalen Religionskritik am Beispiel der jüdischen versuchte Freud die Permanenz des antisemitischen Ressentiments in zwei Bereichen zu fassen: Einmal auf Grundlage des Kastrationskomplexes und einmal unter Annahme einer ödipalen Grundstruktur des Antisemitismus: in jenem Diktum von den Christen als schlecht getaufte Heiden. Beide Vorschläge sind überarbeitungsbedürftige Fragmente geblieben. Die heilige Allianz von Narzissmus und Antisemitismus in der christlichen Religion wurde von Grunberger/Dessuant analysiert: Für diese stellt der Narzissmus als eigene Instanz den Antisemitismus auf. Adorno schließlich beschrieb den Phänotyp des autoritären Charakters, mit Horkheimer entstanden Fragmente einer Analyse in den „Elementen des Antisemitismus“. Beide basieren auf dem Konzept der „pathischen Projektion“.
Die zentralen Differenzen der psychoanalytischen und sozialpsychologischen Erklärungsversuche, ihre Aktualität und kritische Relevanz werden im Vortrag von Felix Riedel* zur Diskussion gestellt. Als Anschauungsmaterial werden zwei antisemitische Medienproduktionen der letzten Jahre analysiert.
*Felix Riedel ist Ethnologe und publizierte unter anderem zu strukturellen Ähnlichkeiten und Differenzen von Antisemitismus und modernen Hexenjagden. Seit 2006 analysiert er auf nichtidentisches.wordpress.com gesellschaftliche Phänomene und Filme.
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Der Vortrag wird am 07.11.2012 im Peter-Weiss-Haus stattfinden. Beginn ist um 20:00 Uhr.
Diese Veranstaltung findet im Rahmen einer kleinen Veranstaltungsreihe zur Analyse des Antisemitismus statt. Ein Überblick und mit weiteren Informationen zu den anderen Veranstaltungen finden sich hier: kritischeprovinz.blogsport.de/2012/10/24/ankuendigung-veranstaltungsreihe-antisemitismus/
Hier kommt ihr zum Ankündigungs-Flyer der Veranstaltungsreihe:
Flyer
wird das mitgeschnitten?
wird das mitgeschnitten?
Ja, es gibt einen Mitschnitt, wir wissen aber noch nicht, ob und wann wir ihn veröffentlichen.
Meiner Meinung nach lohnt der Vortrag auch erst so richtig als Audiofile. Zum mithören und nachschlagen.
Findest du man konnte nicht folgen oder wieso sollte sich das mithören erst beim Audiofile lohnen?
ich war dort und würde mich trotzdem sehr über einen mitschnitt freuen!
Ich bin tatsächlich das dem Vortrag in der Art & Weise schwer zu folgen war (was nur einer meiner Kritikpunkte wäre) und daher wäre es für mich sinnvoller das Audiofile zu hören, um gegebenenfalls stoppen und nachvollziehen bzw. nachschlagen zu können.
Die liebe Provinz hat es schonmal hochgeladen, mittlerweile kursieren drei Links, einer davon:
http://audioarchiv.blogsport.de/2012/12/18/psychoanalyse-des-antisemitismus-felix-riedel/
Tut uns leid Felix, deine Kommentare landen immer im Spam-Ordner, keine Ahnung warum. Daher die verspätete Freischaltung…